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Der Fetischfreund – Teil 1

Bei den einschlägigen Gesprächen pubertierender Buben merkte Oliver bald, dass es bei ihm anders lief. Während die anderen von großen weiblichen Brüste oder ihrer dichten Schambehaarung fantasierten, erregten ihm Mädchen mit Gipsverbänden am Bein. In der weiteren Entwicklung reichten ihm dann solche leichten Behinderungen nicht mehr. Immer öfter beherrschten Frauen mit fehlenden Gliedmaßen seine Tagträume. Vor allem seine sexuellen Fantasien waren von amputierter Weiblichkeit bestimmt. Er wusste, dass da bei ihm etwas nicht richtig war, konnte aber nicht dagegen ankämpfen.

Es gab niemanden, dem er sich mit seinem Problem anvertrauen konnte, glaubte sich allein, der Einzige zu sein mit dieser unglückseligen Veranlagung. Auch fand er trotz intensiver Beschäftigung mit dem Phänomen keine individuell hinreichende Erklärung für seine Vorliebe. Noch kannte den Ausdruck Amelotatist nicht, mit den Personen mit einer sexuellen Präferenz für Menschen mit fehlenden Gliedmaßen bezeichnet werden.

So wie auch andere Mädchen ihres Alters bemerkte Henriette, oder Henny, wie sie von ihren Eltern gerufen wurde, dass ihr das Streicheln zwischen den Beinen ein angenehmes Gefühl verschaffte. Während ihres Heranwachsens zur Jugendlichen entwickelte sich dies als durchaus normaler Vorgang zur Masturbation. Vielleicht war es bei Henny nur so, dass sie öfter als andere junge Frauen danach verlangen hatte.

Sexualität war in Hennys streng religiöser Familie ein stets unterdrücktes Thema. Gefühlsmäßig mutmaßte sie, dabei etwas Verbotenes zu tun und betrieb es daher auch nur ganz heimlich. Als sie etwa dreizehn Jahre alt war, ertappte sie dennoch ihre Großmutter einmal dabei. Die folgende Strafpredigt hatte sich gewaschen, ja sie wurde von ihrer Großmutter ob ihres unkeuschen Treibens regelrecht beschimpft. Als Höhepunkt und Strafe zog sie ihr abschließend mit solcher Gewalt den Kochlöffel über ihre Hände, dass sie beim Schreiben in der Schule tagelang Probleme hatte.

Großmutters Erziehungsmethode hatte aber nicht zur Folge, dass Henny nun nicht mehr Masturbierte, auf diese angenehme Empfindung wollte sie keineswegs verzichten und hatte sie immer als Wohltat empfunden. Vielmehr fokussierte sich tief in ihrem Innersten ihr Zorn über die ertragene Strafe auf ihre Hände. Sie waren es ja, die diese folgenschwere Tat begangen hatten, die ihr diese peinigenden Schmerzen eingetragen hatten. Ohne dass sie es merkte, grub sich dieses böse Erlebnis immer tiefer in ihre Seele. Am Ende ihrer Teenagerzeit war dies bereits soweit fortgeschritten, dass sie ihre Hände wie eine Krankheit empfand. Etwas, was nicht zu ihr gehörte.

Sie glaubte, sie sei übergeschnappt. Natürlich braucht der Mensch Hände, gleichzeitig verabscheute sie aber die ihren zutiefst. Auch Psychiater konnten ihr nicht helfen. Der eine gab nach etlichen Theraphierungsversuchen auf, bei einem anderen konnte sie nur mit Mühe einer Einweisung in eine Anstalt entkommen. Auch zwei weitere The****uten scheiterten.

Hennys Abneigung war bereits so weit fortgeschritten, dass sie mittels Handschellen ihre Hände auf den Rücken verbannte. Das gab ihr die Illusion, nun „rein“, „sauber“ zu sein. Für ein paar Stunden war sie so von jenen Gliedmaßen befreit, die sie so sehr verabscheute. Im Laufe der Zeit wurde sie auch immer geschickter, diverse Tätigkeiten mit dem Mund oder den Füßen durchzuführen. Die Umständlichkeit machten ihr nichts aus, Hauptsache ihre Hände waren außer ihrem Blickfeld. Irgendwann aber musste sie wieder durch die geschlossenen Hände durchsteigen, das Schlüsselchen nehmen und die Handschellen lösen.

Oliver war zur Geburtstagsparty seines besten Freundes eingeladen. Unter den etwa zwanzig Gästen befand sich auch eine junge Frau, zu der er sich vom ersten Augenblick an hingezogen fühlte. Natürlich hatte sie zwei Hände und zwei Füße, aber das spielte in diesem Augenblick keine Rolle. Er kam mit ihr ins Gespräch und stellte sich vor: „Ich heiße Oliver und du?“ „Na eigentlich heiße ich Henriette, aber alle sagen nur Henny zu mir.“

Was kam, war der übliche Ablauf, wenn sich zwei Menschen zugeneigt sind. Kurze Freundschaft, Verliebtheit, ernsthafte Liebe. Allmählich lernt man dann auch die Eigenheiten des Partners oder der Partnerin kennen. So fiel Oliver natürlich bald auf, dass Henny auch beim intensivsten Liebesspiel seinen Penis nur ganz selten, und da auch nur kurz in die Hand nahm. An sich hatte er sich ja in seiner Veranlagung schon oft vorgestellt, wie es mit einer Frau im Bett wäre, die keine Hände hat. Aber Henny hatte ja zwei Hände. Ekelte ihr vor ihm?

Oliver beschloss, Henny einfach darauf anzusprechen. Henriette zögerte eine Zeit lang mit der Antwort, dann hielt sie es für richtig, ihn einfach alles zu gestehen, ihr Verhältnis war so weit fortgeschritten, dass Geheimnisse schädlich werden konnten. „Ich werde dir alles genau erklären, aber bitte erschrick dabei nicht. Und du wärst auch nicht der erste, der mich für verrückt hält. Wahrscheinlich bin ich es auch.“

Dann erzählte sie ihm von ihrer Abneigung gegenüber ihren Händen und dass sie selbst nicht weiß, warum das so ist. Sie sagte ihm auch, dass sie sicher einmal eine Möglichkeit finden würde, ihre Hände loszuwerden. Oliver sagte zunächst nichts, er brauchte einige Zeit, um alles zu verdauen. Dann dachte er über seine eigene Veranlagung nach. „Henny“, sagte er, „dann muss ich dir auch etwas gestehen.“

Da saßen sie nun und schauten sich an. „Es ist Wahnsinn, wenn ein Mann, der auf amputierte Frauen steht, auf eine Frau trifft, die sich ihre Hände verabscheut! Das geht nicht gut, Henny!“ sagte Oliver.  „Oder es ist ein Zeichen, dass es so sein soll“, meinte Henny. Plötzlich kam in ihr hoch, was sich über die Zeit aufgestaut hatte: „Oliver, bitte hacke mir meine Hände ab! Bitte!“ Oliver wurde blass: „Aber Henny, das geht doch nicht!“

Immerhin diskutierten sie nun, wie ein Leben ohne Hände sein würde. Oliver versuchte immer wieder, Henny von ihrer Idee abzubringen, obwohl die Aussicht, mit einer Frau ohne Hände zusammenzuleben seiner Neigung sehr entgegenkam. In den nächsten Tagen und Wochen wurde sein Widerstand auch immer schwächer. Henny zeigte ihm auch, wie sie sich selbst ihre Hände auf den Rücken fesselt und wie gut sie dennoch zurechtkommt. Oliver hielt dem entgegen, dass sie dann ja nicht nur mit Dreißig ohne Hände sein würde, sondern auch mit Sechzig oder Achtzig. Aber da lachte sie nur: „In vierzig Jahren werde ich mich doch schon längst daran gewöhnt haben, da werden mir Hände nicht mehr abgehen!“ Immer wieder zeigte sie ihm auch Statements von Experten im Internet, die bestätigten, dass eine Heilung ihres Body Integrity Identity Disorder, wie ihre Krankheit exakt heißt, nur „heilen“ kann, wenn man dem Patienten seinen Wunsch erfüllt. Als sie ihm dann auch noch ein E-Mail vorlegte, in dem ihr ein Arzt in Osteuropa unter bestimmten Umständen die Durchführung der Amputationen zusagte, gab er seinen Widerstand auf.

Die nächste Überraschung erlebte Oliver allerdings, als besprochen wurde, wo die Hände abgenommen werden sollten. Da immer von den Händen die Rede war, nahm er an, dass dies im Handgelenk geschehen sollte. Henny aber eröffnete ihm, dass sie am liebsten gleich die ganzen Arme entfernen lassen wolle. Wieder begann eine Diskussion, wobei Oliver die gleichen Argumente dagegen vorbrachte, die er auch schon früher zu bedenken gab. Nach langem hin und her einigte man sich darauf, dass etwa ein Drittel der Unterarme erhalten bleiben sollten.

Eine der Bedingungen des Arztes war, dass er über einen längeren Zeitraum testen wollte, ob bei Henriette eine echte BIID vorlag. Außerdem war die Operation nicht gerade billig. Oliver und Henny kamen daher überein, dass er, wenn sie innerhalb von zwei Jahren das Geld beisammenhätten, Henny nichts in den Weg legen würde.

Henny sparte eisern. Oliver hatte es beinahe satt, dass sie sich nichts vergönnen wollte. Dass beim Ausgehen immer er zahlte, verstand er noch. Aber kein Urlaub, keine Unterhaltung, die billigsten Lebensmittel,… Nach eineinhalb Jahren war dann der Betrag für Operation, sowie Pflege- und Reisekosten verfügbar. Auch vom Arzt war eine Einladung zu einem persönlichen Gespräch eingetroffen. Also startete man unter der Vorgabe, eine Urlaubsreise zu unternehmen.

Der Chirurg Dr. V. hatte nach der Wende eine kleine Klinik eingerichtet, die mehr schlecht als recht ging. Einen Aufschwung verzeichnete sie vor etwa vier Jahren, als ihn mehr zufällig Menschen kontaktierten, die sich Amputationen wünschten. In diesen vier Jahren sammelte er genug Erfahrung, um Patienten mit einem echten Bedürfnis von solchen mit einer momentanen Macke zu unterscheiden.

Nach eingehender Diagnostik und Bestätigung der Erkrankung und den schon zuhause durchgeführten Therapieversuch mit Antidepressiva hält er auch bei Henriette eine Entfernung der betreffenden Extremitäten für eine ethisch vertretbare Behandlungsoption. Zwei Tage später war alles erledigt.

Oliver konnte das Ergebnis bereits am nächsten Tag betrachten, bei Henriette dauerte es einige Tage, weil man sie zur Schmerztherapie zunächst in Tiefschlaf versetzte. Nie wird Oliver den Augenblick vergessen, als Henny wieder zu sich gekommen war und ihre Arme hochhob. Sie betrachtete ihre Stümpfe und lächelte ihn dann an. „Endlich bin ich so, wie ich immer sein wollte“, sagte sie. Oliver kam es trotzdem verrückt vor.

Da Henny es ja selbst gewollt hatte, war auch ihre Motivation hoch, mit ihrem neuen Körper auch zurechtzukommen. Natürlich musste ihr Oliver anfangs überall helfen, aber mit der Zeit wurden die Stellen, an denen amputiert wurde, immer weniger schmerzempfindlich und Henny konnte immer mehr mit ihren Stümpfen machen. Die ersten Tätigkeiten waren solche, bei denen sie, zum Beispiel beim Tragen, Gegenstände in der Armbeuge halten konnte. Bald aber konnte sie auch wieder selbständig trinken, indem sie das Glas zwischen den beiden Stümpfen hielt. Auch eine Gabel konnte sie auf diese Art bald benutzen und wieder ohne Hilfe essen.

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